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Eliud Kipchoge und die beiden Mutais (Emmanuel links und Geoffrey rechts) sollen am Sonntag für schnelle Zeiten sorgen.
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Eliud Kipchoge und Emmanuel Mutai gehen auf Weltrekordjagd
Wie in jedem Jahr stellt sich vor dem Berlin Marathon die Frage nach einem neuen Weltrekord, insbesondere weil in den beiden vergangenen Jahren jeweils einer realisiert werden konnte. Das dafür bereit stehende Personal ist äußert leistungsfähig und optimistisch: Eliud Kipchoge, Emmanuel Mutai und Geoffrey Mutai wollen die Jagd nach der Fabelzeit von Dennis Kimetto eröffnen.
Wenn Berlin Marathon drauf steht, ist auch Berlin Marathon drin! Nach drei Weltrekorden in den vergangenen vier Jahren sind die Ansprüche an die verpflichteten Athleten besonders auch intern gestiegen. Und so hat der Veranstalter in diesem Jahr die besten Athleten nach Berlin gelockt, die abseits der WM-Teilnehmer verfügbar waren. Emmanuel Mutai, im Vorjahr beim Weltrekord-Spektakel von Dennis Kimetto Zweiter, soll zusammen mit dem neuen Marathon-Star Eliud Kipchoge, in dem zahlreiche Experten den nächsten Weltrekordhalter sehen, der Bestmarke nachjagen. „Wir sind überglücklich, diese Athleten am Start zu haben. Mit ihren Fähigkeiten können wir uns auf ein aufregendes Rennen freuen“, spricht Renndirektor Mark Milde. Für die Rahmenbedingungen, das Rennen auf eine Attacke auf den Weltrekord auszurichten, hat Milde mit dem Einsatz hochkarätiger Pacemaker gesorgt.

Der neue Marathon-Star
Eliud Kipchoge ist eine faszinierende Persönlichkeit in der Leichtathletik seit über einem Jahrzehnt. Alles nahm seinen glanzvollen Anfang, als Kipchoge als 18-Jähriger bei den Weltmeisterschaften 2003 in Paris über 5.000m Hicham El Guerrouj und Kenenisa Bekele düpierte und sensationell die Goldmedaille gewann. In zehn Jahren gelang es ihm nur ein einziges Mal nicht, eine Zeit unter 13 Minuten über 5.000m zu laufen – ein beeindruckendes Muster an Konstanz, die von Höhepunkten wie zwei Olympischen Medaillen und dem Vize-WM-Titel von Osaka gefüttert wurden. Nach den Spielen von London, für die sich Kipchoge nicht qualifizieren konnte, verlieh die Frust erfüllte Entscheidung, auf die Straße umzusteigen, der Laufbahn des Kenianers neue Flügel: Der erste Halbmarathon in Lille brachte eine tolle Zeit von 59:25 Minuten, es folgte Rang sechs bei den Halbmarathon-Weltmeisterschaften einen Monat später. Auch sein Marathon-Debüt war ein Kracher: 2:05:30 Stunden in Hamburg. Von seinen weiteren Auftritten über die 42,195 Kilometer in Berlin 2013, Rotterdam und Chicago 2014 sowie London 2015 gewann er nur ein Rennen nicht, das war aber kurioserweise sein schnellstes. Vor zwei Jahren in Berlin musste er sich in einer hervorragenden Zeit von 2:04:05 Stunden dem damaligen Weltrekordläufer Wilson Kipsang beugen. Der größte Erfolg war aber der Sieg im Frühjahr in London, als er sich im „Clash of Champions“ mit einer beachtlichen Souveränität und Selbstverständlichkeit gegen die Besten der Besten durchsetzte. Die Durchschnittszeit seiner vier Siege liegt übrigens bei sagenhaften 2:04:42 Stunden!

„Natürlich will ich den Weltrekord!“
Spätestens seit damals ist für viele klar: Eliud Kipchoge ist der Mann für die Zukunft im Marathon und der aussichtsreichste Kandidat, die Weltrekordmarke von Dennis Kimetto zu unterbieten. Und der 30-Jährige scheint bereit, geht im Vorfeld des Berlin Marathon in die verbale Offensive. „Ich gehe ins Rennen mit dem Fokus auf den Sieg und ich will versuchen, meine persönliche Bestleistung zu verbessern.“ Das ist das Minimalziel, angesprochen auf den Weltrekord, an den er laut eigenen Angaben bis vor wenigen Wochen keinen Gedanken verschwendet haben will, weicht die Zurückhaltung zurück. „Ich habe mich bestens vorbereitet und sehr gut trainiert. Ich kann nur sagen, ich bin bereit für eine ganz große Leistung. ich traue mir den Weltrekord zu. Wenn das Wetter gut ist und wir nicht schon nach 30 Kilometern alleine sind, ist viel möglich. Sehr viel sogar. Die erste Streckenhälfte in 61:30 Minuten und die zweite dann einige Sekunden schneller!“, strotzte der 30-Jährige vor wenigen Tagen im Interview mit Runnersworld nur so vor Selbstvertrauen. Und ergänzte: „Natürlich will ich den Weltrekord. Darüber spricht doch jetzt jeder. Aber das Wichtigste ist, erst einmal das Rennen zu gewinnen – und dann fällt der Weltrekord vielleicht von selbst.“

Der Berlin Marathon und das Umfeld bilden eine optimale Bühne inklusive der Möglichkeiten für historische Leistungen. Doch sie lädt Druck auf Kipchoges Schultern. Denn wer nach den Ereignissen in den jüngsten Jahren nach Berlin kommt, hat das Gefühl, einen Weltrekord einfordern zu müssen. Und genauso scheinen es auch die Athleten zu halten, denn das Wort „Weltrekord“ fiel in den vergangenen Tagen und Wochen überdurchschnittlich oft. Während Experten den Finger mahnend heben, dass nach dem Knacken der 2:03-Stunden-Schallmauer irgendwann das vorläufige Ende der Fahnenstange erreicht sein würde, haben Statistiker und Zufallsfanatiker erstaunliche Gemeinsamkeiten zwischen Dennis Kimetto und Eliud Kipchoge herausgefiltert und beschwören ein gutes Omen. 2014 war Dennis Kimetto 30 Jahre alt, hatte im Jahr davor in Chicago gewonnen und lief in Berlin seinen sechsten Marathon, mit Weltrekord. Eliud Kipchoge ist heuer 30, hat im Vorjahr den Chicago Marathon gewonnen und bestreitet in Berlin seinen sechsten Marathon…

Der Mann im Schatten
Wer über faszinierende Persönlichkeiten in Berlin spricht, muss aus dem Starterfeld nicht nur Eliud Kipchoge hervorgehoben, sondern auch Emmanuel Mutai. Der 30-Jährige ist der nach offiziellen Ranglisten zweitschnellste Marathonläufer aller Zeiten und einer der besten seines Fachs seit Jahren. Dennoch erreicht seine Bekanntheit keineswegs jene zahlreicher seiner Landsleute. Wenn, dann ist Emmanuel Mutai als „der Mann im Schatten“ oder „der ewige Zweite“ geläufig. Ein Drama seiner Laufbahn, denn verdient hat er diese Geringschätzigkeit nicht. Und das wissen Insider. 17 Marathons hat er in seinem Leben bestritten, 15 davon im Rahmen der WMM-Serie. Dabei hat 15mal eine einstellige Platzierung erreicht und stand nicht weniger als neunmal auf dem Podest! Doch neben den Siegen im Amsterdam 2007 und London 2011 stehen gleich sieben zweite Plätze zu Buche: Bei der WM 2009 in Berlin, beim London Marathon 2010 und 2013, beim New York Marathon 2010 und 2011, beim Chicago Marathon 2013 und beim Berlin Marathon 2014. Irgendwie war es bezeichnend, dass Emmanuel Mutai auch bei seiner Sternstunde im Vorjahr im Schatten eines anderen stand. Dabei markierte er bei Kilometer 30 einen neuen Weltrekord für diese Distanz und blieb zehn Sekunden unter der alten Marathon-Weltrekordmarke von Wilson Kipsang. Weltrekord gelaufen und doch nicht gewonnen! Denn wie so oft in seinem sportlichen Leben war ein anderer um einen Hauch besser.

Berlin Marathon 2015 als große Chance
Doch vielleicht gibt sich aus der Situation Mutais eine neue Chance, die er nützen kann. Und diese Chance lautet Berlin Marathon 2015. Der größte Trumpf ist seine Konstanz. „Statistisch gesehen bin ich einer der konstantesten Marathonläufer“, weiß er, „Allerdings habe ich erst ein WMM-Rennen gewonnen. Das ist eine besondere Motivation für mich am Sonntag, hier nachzulegen.“ Von einem schwächeren Auftritt beim London Marathon im Frühjahr will er sich nicht aus dem Konzept bringen lassen: „Ich bin in Topform!“ Hier, wo er 2:03:13 Stunden gelaufen ist, hat er es selbst in der Hand, mit einer Topleistung auch sein Image aufzupolieren. Für einige unvorstellbar, aber durchaus möglich: „Der ewige Zweite“ hält Eliud Kipchoge im Zaum und markiert einen neuen Weltrekord. Spätestens dann wäre Emmanuel Mutai aus dem dunklen Schatten anderer hervorgetreten und würde vom hellen Rampenlicht erstrahlt. Aber dieses Szenario in die Realität umzusetzen, wird ein verdammt schwieriger Weg.

Geoffrey Mutai und seine lange Liste von Erfolgen
Bis Dennis Kimetto im letzten Jahr kam, hielt er den inoffiziellen Weltrekord: Geoffrey Mutai ließ sich 2011 vom Rückenwind in Boston zu einer Siegerzeit von 2:03:02 Stunden wehen, offiziell steht eine 2:04:15 Stunden in den Rekordlisten. Diese Zeit ist er übrigens vor drei Jahren in Berlin gelaufen, als er mit Müh und Not die Angriffe des damaligen Debütanten Dennis Kimetto abwehren konnte. Geoffrey Mutai, der nicht verwandt oder verschwägert mit Emmanuel ist, hat eine beeindruckende sportliche Vita: Zum Sieg beim Berlin Marathon 2012 kommen zwei Erfolge beim New York City Marathon, wo er auch den Streckenrekord hält, einer beim Boston Marathon, ebenfalls als Streckenrekordhalter, und zwei beim Eindhoven Marathon. Doch der 33-Jährige scheint bereits über sein Leistungszenit hinausgekommen zu sein und geht trotz seines großen Namens nur als Außenseiter in den Berlin Marathon. Zum Weltrekord, der ihm wohl nicht zuzutrauen ist, hat Mutai übrigens eine besondere Beziehung: Er ist der Entdecker und Mentor von Dennis Kimetto.

Mutais in der Meldeliste vor Kipchoge
Übrigens: Im Gegensatz zu den beiden Mutais hat Kipchoge noch keinen Marathon unter 2:04 Stunden absolviert. Dies sehen viele für Sonntag als Selbstverständlichkeit, auch wenn es keine ist, und damit würde Kipchoge als insgesamt achter Läufer der Geschichte (inklusive der Zeiten des nicht-rekordtauglichen Boston Marathon 2011) diese Schallmauer durchbrechen. Das bedeutet aber auch, dass der als Favorit auserkorene Läufer „nur“ die Nummer drei der Meldeliste ist – eine wahrlich seltene Konstellation.

Bunt gemischtes Elitefeld
Neben den drei großen Kenianern nehmen einige weitere interessante Läufer am Berlin Marathon 2015 teil. Der schnellste Äthiopier ist der erst 25-jährige Feyisa Lilesa, der 2012 in Chicago in einer Zeit von 2:04:52 Stunden Zweiter wurde, bei den Weltmeisterschaften 2011 die Bronzemedaille gewann und in den Anfängen seiner Karriere in Dublin und Xiamen gewinnen konnte. Seit drei Jahren fehlt allerdings ein berauschendes Ergebnis, heuer zeigt die Formkurve mit den Rängen vier und fünf in Dubai und Rotterdam wieder klar nach oben. Das afrikanische Elitefeld komplettieren der Kenianer Eliud Kiptanui, bereits zweimal Fünfter in Berlin, der Äthiopier Tamirat Tola, im vergangenen Jahr Vierter beim Dubai Marathon, und der erst 23 Jahre alte Südafrikaner Lusapho April, der mit seinen zwei Siegen beim Hannover Marathon beste Erinnerungen an Deutschland hat. Aus Japan sind Masanori Sakai, Tomoyuke Morita und Koji Gokaya am Start, dazu kommen Vize-Europameister Yared Shegumo, ein für Polen laufender Äthiopier, und der Australier Michael Shelley, Goldmedaillengewinner der Commonwealth Games in Glasgow 2014. Der Kanadier Reid Coolsaet strebt einen neuen kanadischen Landesrekord an, der bei einer Zeit von 2:10:09 Stunden liegt – also rund eineinhalb Minuten unter seiner eigenen Bestleistung.

Nahziel Olympialimit
Der stärkste deutsche Läufer im Feld ist der EM-Achte André Pollmächer, der seine wohl einzige Chance auf das Erreichen des Olympialimits realisieren möchte. Das DLV-Limit liegt bei einer Marke von 2:12:15 Stunden, damit müsste Pollmächer seine Bestleistung um 50 Sekunden steigern. Sein Landsmann Philipp Pflieger möchte seinen ersten Marathon beenden und dabei eine gute Platzierung erzielen. Auch die Schweizer Christian Kreienbühl und Adrian Lehmann haben die Olympia-Qualifikation im Auge. Die beiden müssen dafür „lediglich“ das internationale Limit von 2:14 Stunden schaffen, wobei dafür von beiden eine massive Verbesserung ihrer persönlichen Bestleistung gefragt ist.

Teilnehmerrekord
Eines ist klar: Wenn am Sonntagmorgen pünktlich um 9 Uhr 41.224 Läuferinnen und Läufer aus 127 Nationen – und damit das größte Starterfeld in der 42-jährigen Geschichte des größten Marathon Deutschlands – die 42,195 Kilometer in Angriff nehmen, spielt der Weltrekord in den Köpfen nur eines marginalen Teils eine Rolle. Dann geht es voranging darum, die einzigartige Atmosphäre, welche im Zieleinlauf durch das Brandenburger Tor gipfelt, zu genießen und individuelle Ziele zu verfolgen. Doch für sein Renommee scheint der Berlin Marathon süchtig nach regelmäßigen Verbesserungen des Weltrekordes. Kommt es heuer erneut zur Sensation und ein Athlet läuft schneller als 2:02:57 Stunden, klingelt die Kasse: 40.000€ für den Sieg plus 30.000 € für eine Zeit unter 2:04 Stunden plus 50.000€ Weltrekordprämie. Angesichts der Gelder, die bei den Big Playern in den USA ausgeschüttet werden, kein verhältnismäßig riesiger Bonus, aber eine Finanzspritze, gegen die sicherlich keiner etwas einzuwenden hätte.

Berlin Marathon
Text: SIP / TK
Foto: SIP / Johannes Langer