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NEWS
Paula Radcliffe wehrt sich gegen Doping-Anschuldigungen
Paula Radcliffe ist das neue Ziel der Angriffe der britischen Presse in deren Kampf für die Aufdeckung von Doping in der Leichtathletik. Die Veröffentlichung dreier erhöhter Blutwerte hat für internationale Aufregung und Diskussionen gesorgt. Planet-Running fasst die britischen Medienberichte zusammen und bewertet die Sachlage.
Seit dem durch investigativen Journalismus deutscher und britischer Medien aufgedeckten Skandal um möglicherweise vom Leichtathletik-Weltverband missachtete Dopingvergehen bei den Weltmeisterschaften 2005 und 2007 hat die britische Presse einen speziellen Fokus auf Doping in der Leichtathletik gelegt. Das neue Ziel der Presse ist ein britisches „Heiligtum“, die Marathon-Weltrekordhalterin und -Weltmeisterin von 2005, Paula Radcliffe, die bisher insbesondere im Kontext von Doping einen hervorragenden Ruf genoss.

Sky News publiziert Blutwerte
Alles begann damit, dass das britische Medium „Sky News“ drei erhöhte Blutwerte Paula Radcliffes veröffentlichte, welche auch der britischen Zeitung „Sunday Times“ dem deutschen TV-Sender ARD vorlagen. Zwei davon stammen aus Trainingskontrollen direkt im Anschluss eines Höhentrainingslagers, der dritte unmittelbar nach einem Rennen in Portugal, welches Radcliffe nach einem Höhentraining bei Hitzetemperaturen von 29°C bestritt. Der daraus formulierte Dopingverdacht ist aber komplett haltlos! Denn die drei überhöhten Werte 114,86, 109,86 und 109,3 (die Grenze bei weiblichen Athletinnen liegt bei 103) könnten zwar theoretisch ein Indiz für Dopingmissbrauch sein, sind es praktisch aber ohne detailliertere Analyse keinesfalls, weil es zahlreiche natürliche Erklärungen in einem individuellen menschlichen Organismus unter bestimmten Umständen gibt, welche diese Werte problemlos legitimieren könnten. Sicher, sollten die Journalisten von „Sky News“ am Ende Recht mit den Vermutungen haben und Paula Radcliffe eines Tages wirklich des Dopings überführt werden würde, war es ein waghalsiges Vorgehen jenseits der legitimierten Grenze. Wenn nicht, was weit wahrscheinlicher ist, ein journalistisch verwerfliches und höchst unseriöses Vorgehen, welches eine Athletin im heiklen Kontext der Gegenwart ohne stichhaltige Argumente in ungerechtfertigte Bedrängnis bringt.

IAAF begutachtete Kontrollen
Radcliffes Erklärung für die abnormalen Werte ist ihr Training in der ungewohnten Höhenlage, außerdem soll einmal eine Krankheit dazugekommen sein. Und sie bestätigte, dass die IAAF diese Kontrollen untersuchte und kein weiteres Vorgehen für nötig hielt. In weiteren Berichten entkräftigte die britische Tageszeitung „Sunday Times“ die Darstellung von „Sky News“, in dem die australischen Antidoping-Experten Michael Ashenden und Robin Parisotto aus einer zwölf Jahre alten Erklärung zitiert wurden, die den normalen Blutwert für Athletinnen im Höhentraining auf eine Marke von 111,7 schätzten – also oberhalb zweier der drei als „verdächtig“ eingestuften Werte der Britin.

Aussagen auf der Goldwaage

Zeit ihrer Karriere genoss Paula Radcliffe, eine der beliebtesten Sportler weit über die Grenzen Großbritanniens hinaus, im Kontext von Doping stets ein sehr gutes Image und gab sich nicht nur verbal stets als Vorreiterin im Kampf gegen Doping. Fortwährend nahm sie eine klare Position gegen Doping ein und polterte gegen Sünder wie Lance Armstrong lautstark. Und das obwohl sie in ihrem Sport wahrlich erstaunliche Leistungen vollbrachte, was nicht nur ihr Weltrekord im Marathon, sondern auch weitere Zeiten beweisen, die nie von einer anderen Läuferin erreicht werden konnten. Wer hätte jemals geglaubt, dass eine Frau einen Marathon so schnell absolvieren könne?

Gerade heute sollten jegliche Aussagen eines Sportlers im Kontext von Doping mit Vorsicht genossen werden, denn die Geschichte hat schon häufig bewiesen, dass Worte wertlos sein können: Beherzte Statements, offensive verbale Dopingbekämpfung und Beschuldigungen gegen andere sind genauso wenig ein Unschuldsindiz wie die Tatsache, dass zahlreiche Wegbegleiter Radcliffes, die zur selben Zeit ebenfalls sehr erfolgreich waren, wie Sprinter Justin Gatlin, die russischen Mittelstreckenläuferinnen oder die russische Marathonläuferin Liliya Shobukhova, des Dopings überführt worden sind oder kurz davor stehen, ein Indiz dafür ist, dass Radcliffe betrogen haben muss.

Emotionale Gegendarstellung
„Ich leugne kategorisch, jemals zu irgend einem Zeitpunkt meiner Karriere betrogen zu haben. Ich bin schockiert, dass mein Name in Verbindung mit diesen Anschuldigungen ist. Ich habe immer für einen sauberen Sport gekämpft“, ließ Paula Radcliffe in einem Statement wissen. Die 42-jährige Britin ist aktuell wohl die gefragteste Leichtathletin im Ruhestand. Und sie setzte in ihren Reaktionen auf Emotionalität. „Das Schlimmste ist, wenn die eigene kleine Tochter Tränen in den Augen hat. Raphael ist zum Glück noch zu klein, um es zu verstehen. Aber Isla bekommt genau mit, was los ist“, erzählte sie dem britischen TV-Sender BBC, für den sie als TV-Expertin arbeitet. Und fügte am Rande des Great North Run hinzu: „Alle Leute, die wirklich betrügen, lachen sich im Moment krumm über diese Situation!“ Außerdem hat Paula Radcliffe die Welt Anti Doping Agentur WADA gebeten, ihr zu helfen, die Anschuldigungen gegen sie zurückzuweisen. „Die Untersuchungen der ARD und der Sunday Times haben sicherlich einen sehr großen Wert im Streben danach, Betrüger zu entlarven, deren Unterstützer und Infrastrukturen, die dahinter stehen. Wenn aber unschuldige Athleten wie ich aufgrund von Sensationsjournalismus beschuldigt werden, verliert das gesamte Vorgehen an Glaubwürdigkeit“, ermahnte Radcliffe die Medien.

Große Unterstützung
Es ist durchaus erstaunlich, wie viel Zuspruch Paula Radcliffe postwendend bekam. Der neue IAAF-Präsident Sebastian Coe lehnte sich dabei gleich viel zu weit aus dem Fenster, in dem er zum Besten gab: „Ich glaube absolut, dass Paula Radcliffe sauber ist. Ich denke, jeder weiß, dass sie eine saubere Athletin ist. Ich denke nicht, dass sie nun in diese Position geschoben werden soll.“ Menschlich ist diese Aussage – Coe und Radcliffe sind gut befreundet – sicherlich nachvollziehbar, für das neuen Amt, dass Coe bekleidet, allerdings gänzlich fehl am Platz. Denn präzise betrachtet, ist es wohl Paula Radcliffe alleine, die weiß, ob sie sauber ist oder nicht. Alle anderen können nur Vermutungen anstellen. Gerhard Hartmann, 14 Jahre lang Radcliffes Physiotherapeut, zeigt sich ebenfalls sicher, dass die heute 42-Jährige Zeit ihrer Karriere nie betrogen hat: „Ich würde alles, was ich habe darauf verwetten, dass Paula nie die Grenze überschritten hat. Sie hat nie unerlaubte Substanzen genommen. Ich schwöre bei meinem Leben, dass sie sauber war. So groß ist mein Vertrauen in sie. In meiner 26-jährigen Tätigkeit als Physiotherapeut habe ich mit 73 Olympiamedaillen-Gewinnern gearbeitet. Keiner trainierte härter als Paula!“ Beweise sind derartige Aussagen jedoch auch keine. Aktuelle britische Leichtathletik-Helden wie Mo Farah oder Greg Rutherford formulierten ihre Unterstützung für Radcliffe deutlich zurückhaltender.

Wissenschaft voll des Lobes über Radcliffe
Neben Kollegen und Wegbegleitern aus dem Sport erhält Paula Radcliffe auch Unterstützung aus der Wissenschaft. „Radcliffes Weltrekord ist bemerkenswert und es gibt die Möglichkeit, das sie das ohne Doping geschafft hat. Nur wenige haben es auch für möglich gehalten, den Mount Everest ohne Sauerstoff zu erklimmen, bis es jemand geschafft hat. Radcliffes physische Voraussetzungen waren außergewöhnlich. Solange es keine positiven Tests oder weitere abnormale Blutwerte gibt, kann keiner sagen, dass sie etwas Falsches gemacht hat“, ordnet Dr. Michael Joyner, einer der weltweit anerkanntesten Physiologen, die Sachlage ein. Sportwissenschaftler Andrew Jones, der früher regelmäßig Radcliffes VO2max-Werte gemessen hat, erzählt: „Mir war damals klar, dass Paula mit der Fitness und der Verfassung, in der sie war, einen Weltrekord laufen würde. Die Leute schauen auf das blonde Mädchen und glauben, dass nicht einmal Butter in ihrem Mund schmelzen könnte. Dabei war sie die tougheste Athletin, die ich je getroffen habe.“

Der Trend zu Transparenz
Mo Farah war einer der ersten, der in diesem Sommer die Daten aus seinem Blutprofil veröffentlicht hat. Der mehrfache Olympiasieger und Weltmeister war durch die Doping-Anschuldigungen gegen seinen Coach Alberto Salazar in dieser Saison besonders unter Druck und aus diesem Grund sicherlich stärker motiviert, seine Unschuld zu belegen als zahlreiche seiner Kollegen. Doch damit entstand ein Trend, der saubere Athleten unter Zugzwang brachte. Ob nichts aussagende Veröffentlichungen von Daten wie zum Beispiel vom deutschen Diskus-Champion Robert Harting im deutschen Fernsehen oder mehr aussagende Veröffentlichungen einiger Ausdauersportler: Es entstand der Eindruck, als wäre die Veröffentlichung privater Daten ein akzeptiertes Indiz für die eigene Unschuld und vice-versa. Wer also von einer Veröffentlichung absah, wurde mit einem tief fragenden Blick konfrontiert – eine genauso beängstigende Entwicklung wie jene, Generalverdachte auf Basis einzelner Werte via Massenmedium zu äußern.

„Ich weiß, dass ich sauber bin!“
Paula Radcliffe war eine jener Athleten, die sofort eine Veröffentlichung ihrer Daten verneinte, da sie auf diesen Eingriff in ihre Privatsphäre verzichten wollte. „Ich brauche das nicht zu tun. Ich weiß, dass ich sauber bin!“, beharrt sie nach wie vor. Mit dieser Maßnahme sorgte sie für Erstaunen bei internationalen Experten und handelte sich auch Kritik dafür ein. Klar, wer nichts zu verbergen hat, kann auch Flagge zeigen, wenn er möchte. Doch die Nicht-Preisgabe von privaten medizinischen Daten als konkreten Verdachtsmoment für Doping-Betrug herzunehmen, ist schlichtweg lächerlich. Allerdings half es Radcliffe in ihrer Argumentation wohl kaum, dass zuletzt auch 10.000m-Europameisterin Jo Pavey ihre Daten der Öffentlichkeit bereitstellte und Transparenz propagierte. Auch wenn die 41-Jährige anschließend Verständnis für ihre langjährige Teamkollegin zeigte: „Ich wollte einfach Transparenz zeigen und habe keinen Grund gefunden, warum ich diese Maßnahme nicht ergreifen sollte. Aber das ist eine persönliche Entscheidung und keiner sollte unter Druck gesetzt werden, Selbiges tun zu müssen.“ Dieses Zitat ist übrigens praktisch identisch mit jenem von Mo Farah.
Text: SIP / TK
Foto: SIP