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Im 3.000m-Hindenislauf wurde die kenianische Überlegenheit am deutlichsten. Alle Medaillen gehen an Kenia, das einen Vierfachsieg feierte.
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Das Vogelnest in Peking wird zur Spielwiese der Kenianer
Erstmals in der Geschichte der Leichtathletik-Weltmeisterschaften gewinnt Kenia den Medaillenspiegel. Die Kenianer erwischen nahezu perfekte Weltmeisterschaften, bei denen ihre Stars fast ausschließlich gnadenlos zuschlagen. Außerdem gibt es erstmals zwei Goldmedaillen, die nicht dem Laufbereich entstammen. Derweil zieht die IAAF eine positive WM-Bilanz.
Es war sein letzter Auftritt als IAAF-Präsident. Unmittelbar nach dem sportlichen Ende des Schlusstages der Leichtathletik-Weltmeisterschaften gab Lamine Diack noch einmal eine Pressekonferenz, in der er von den Titelkämpfen 2015 in höchsten Tönen schwärmte: „Die IAAF Weltmeisterschaften von Peking 2015 waren wundervoll. Wir haben neun unvergessliche Tage im Vogelnest und in den Straßen Pekings erlebt. Dazu einen Weltrekord, vier Meisterschaftsrekorde, 14 Weltjahresbestleistungen, elf Kontinentalrekorde und 87 Landesrekorde. 1.873 Athleten aus 207 Ländern machen Peking zur globalsten Weltmeisterschaft aller Zeiten“, lobte der Senegalese, und fügte an: „Danke China! Danke Peking!“ Sein Nachfolger, Sebastian Coe pflichtete ihm bei: „Es war eine absolut spektakuläre WM.“

Beachtliche Zuschauerzahlen
In der Organisation der Weltmeisterschaften machte das chinesische Organisationskomitee vieles richtig. Herausragend waren natürlich die Zuschauerzahlen. Rund 700.000 Menschen besuchten das Olympiastadion in den neun Tagen, sämtliche Abendsessions waren mit der für die Leichtathletik-WM begrenzten Kapazität von 55.000 Zuschauern restlos ausverkauft. Egal wie, das OK bekam die Leute ins Stadion und die sorgten für eine gute Stimmung und insbesondere bei der Unterstützung der chinesischen Sportler für Gänsehaut-Atmosphäre. „Abgesehen von Fußball, kann keine weltumspannende Sportart so viele Zuschauer anlocken“, unterstrich der scheidende IAAF-Präsident Diack.

Suboptimale internationale TV-Regie
Wer im Stadion dabei war, hatte jedenfalls den Vorzug, sämtliche Wettkämpfe live verfolgen zu können. Dies gelang der Regie des Host Broadcast CCTV leider äußerst unzulänglich, zahlreiche besondere Leistungen wurden erst in Aufzeichnungen nachgereicht und kosteten damit dem TV-Zuschauer das Live-Erlebnis. Unsagbar war auch die terminliche Ansetzung des Marathons der Herren, dessen entscheidende Phase Übertragungen von Hürdensprints im Siebenkampf zum Opfer fielen! Beim Herren-Marathon als Auftakt-Event hatte das OK ohnehin noch drastische Anlaufschwierigkeiten. Erstens mussten die Läufer, ähnlich wie die Damen gut eine Woche später, beim Eingang ins Stadion eine Werbebande umlaufen, zweitens fehlte das Zielband und die ersten zehn platzierten Herren wussten nicht, ob sie das Ziel bereits erreicht haben oder noch weiterlaufen müssten.

Coe neuer IAAF-Präsident
Auch wenn neun Tage lang der Sport im Mittelpunkt des Geschehens stand, vielleicht fiel die wichtigste Entscheidung für die Zukunft der Leichtathletik bereits vor den Weltmeisterschaften. Der Brite Sebastian Coe wurde als neuer IAAF-Präsident gewählt und damit zum Nachfolger von Lamine Diack, dem nach 16 Jahre stagnierender und passiver Herrschaft, welche von Dopingskandalen, Korruption und Vetternwirtschaft durchzogen war, keiner eine Träne nachweint. Der ehemalige Weltklasse-Mittelstreckenläufer steht vor einer Mammutaufgabe, erstens die internationale Leichtathletik wieder auf einen positiven Kurs zu führen und zweitens den Scherbenhaufen der in Vergangenheit getätigten Fehler aufzuräumen. Dabei ist das Thema Doping sicherlich das wichtigste Stichwort, am Dienstag will der Leichtathletik-Weltverband übrigens den Doping-Bericht zu den Weltmeisterschaften veröffentlichen. Damit entging man vorerst unangenehmen Fragen.

Seltsame Entscheidungen
Ausschließlich glänzen konnte die IAAF in Peking allerdings nicht. Bei zwei seltsamen Entscheidungen im Sprint, die einmal das Bahnverlassen der späteren Medaillengewinnerin Veronica Campbell-Brown und einmal die Linienübertretung von Asafa Powell als Teil der später siegreichen Sprintstaffel Jamaikas behandelten, wurden völlig überraschend keine Disqualifikationen ausgesprochen, trotz Proteste. Es entstand der Eindruck, als wolle der Weltverband seine in der öffentlichen Aufmerksamkeit so wichtigen Stars schützen – ein fataler Eindruck!

Ayanas Show
Die im Vorfeld prognostizierten Überleistungen traten in Peking reihenweise zu Tage. Zahlreiche Wettkämpfe außergewöhnlich spannend und fesselten die Zuschauer, selbst wenn die Leistungen einmal nicht utopische Weltrekord-Nähen erreichten. Beinahe sämtliche Laufentscheidungen konnten mit dem hohen Niveau dieser Weltmeisterschaften mithalten. Hervorzuheben ist mit Sicherheit der 5.000m-Lauf der Damen, in dem die Äthiopiern Almaz Ayana mit einer Galavorstellung die Favoritin und Erzrivalin Genzebe Dibaba, die bereits die Goldmedaille über 1.500m in der Tasche hatte, vorführte. Die vielleicht absurdeste Laufentscheidung war jene über 800m der Damen, wo sich zahlreiche Läuferinnen in den Tagen von Peking massiv steigerten und am Ende für eine völlig unerwartete Konstellation des Finallaufs sorgten. Am Ende musste sich die haushohe Favoritin Eunice Sum mit Rang drei hinter Marina Arzamasova und dem neuen kanadischen Laufstar Melissa Bishop zufrieden geben.

Der Meister
Weltmeisterschaften produzieren immer Stars. Einer der erfolgreichsten Athleten in Peking war keine Neuerfindung des Sports. Der Brite Mo Farah zeigte im „Vogelnest“ erneut, dass er der Meister aller Klassen ist. WM-Titel Nummer vier und fünf über 10.000m und 5.000m führten sein Dasein als unschlagbarer Läufer der Jetzt-Zeit fort. Mit dem dritten Titel in Folge über 5.000m hat der Brite einen neuen WM-Rekord aufgestellt. Zwar legten sich seine Herausforderer in Peking ordentlich ins Zeug, doch es reichte wiederum nicht, ihm ein Bein zu stellen. Mo Farah arbeitet nach wie vor intensiv an seinem Denkmal, wer ihn in bei Olympia in Rio schlagen will, muss über sich hinauswachsen. Auf der Schlussrunde ist und bleibt Farah eine Macht!

Weitere Stars werden Weltmeister
Ebenfalls den Status eines Weltstars hat Genzebe Dibaba, Weltrekordläuferin über 1.500m, erreicht. Wie sie die Konkurrenz mit ihren Schlussrunden in den 1.500m-Läufen beherrschte, war beeindruckend. 1:56,9 Minuten brauchte Dibaba für die letzten 800 Meter im Finale, mit dieser Leistung wäre sie auf dieser Distanz ebenfalls Weltmeisterin geworden. Dass sie über 5.000m in Ayana ihre Meisterin fand und damit das historische Double verpasste, hebt sie aus astronomischen Höhen wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. Für die dritte äthiopische Goldmedaille sorgte Marathonläuferin Mare Dibaba, die äthiopischen Herren stellten keinen Weltmeister. Das eine Entscheidung um eine Goldmedaille im Marathon in einem 100m-Sprint entschieden werden musste, ist ein bemerkenswertes Novum! Für das Comeback dieser Weltmeisterschaften sorgte die nun vierfache kenianische Weltmeisterin Vivian Cheruiyot, die sich mit Gold über 10.000m zurückmeldete. Ansonsten reagierten die großen Kenianer: Vierter WM-Titel für Ezekiel Kemboi im Hindernislauf, dritter WM-Titel für Asbel Kiprop über 1.500m und zweiter WM-Titel für David Rudisha über 800m, der Peking fluchtartig Richtung Heimat verließ, wo seine Frau hochschwanger auf die Geburt des gemeinsamen Kindes im Krankenhaus liegt.

Kenia dominiert
Die Aufsehen erregende Pleite der Kenianer im Marathon der Herren, der mit dem Überraschungssieg des blutjungen Eritreers Ghirmay Ghebreslassie zu Ende ging, konnte nur kurz über die kenianische Vormachtstellung im Laufbereich hinwegtäuschen. Fast sämtliche Goldmedaillen und Podestplatzierungen, welche sich die Kenianer im Vorfeld ausrechneten, kamen auf das Konto. Dazu neuerdings auch Goldmedaillen, die nicht im Laufbereich erzielt wurden: Nicholas Bett im 400m-Hürdensprint und Julius Yego im Speerwurf. Siebenmal Gold, sechsmal Silber und dreimal Bronze – mit dieser historischen Bilanz schaffte Kenia erstmals den Sieg im Medaillenspiegel vor der Sprinter-Nation Jamaika und dem üblichen Branchenprimus USA. „Kenia hat den Platz an der Sonne eingenommen. Genau dort gehört Kenia hin. Das war eine wunderbare Leistung des gesamten Teams“, gratulierte Kenias Präsidenz Uhuru Kenyatta jubelnd.

Auch im so genannten Placing Table erzielte Kenia mit insgesamt 33 Platzierungen unter den Top-Acht den hervorragenden zweiten Platz hinter den Vereinigten Staaten. Kurzum: Es war eine perfekte Weltmeisterschaft für Kenia. Vielleicht rief diese Tatsache Neider aufs Spiel, die nach Erklärungen rangen, vielleicht ist mehr Wahrheit in den Aussagen enthalten, als viele für wahrhaben wollen. Aber Kenia, vor der WM in der Öffentlichkeit als Doping-Nation abgestempelt, musste sich in Peking einige harte Vorwürfe von Korruption, systematischen Warnungen vor Dopingtests und praktische Verweigerung von internem Kampf gegen Doping gefallen lassen. Dass Isaiah Kiplagat, Präsident von Athletics Kenya, sein Ziel, als IAAF-Vizepräsident gewählt zu werden, verfehlte, kann auch diesbezüglich nur als positives Signal für die Zukunft gewertet werden.

Amerikaner enttäuschen
Wo Sieger sind, sind auch Verlierer. Und die kommen, nicht nur alleine den Laufbereich betrachtet, aber insbesondere im Laufbereich bei diesen Weltmeisterschaften aus den USA. In praktisch jeder Laufentscheidung hat sich zumindest ein US-Amerikaner durch seine/ihre Vorleistungen auf die Favoritenliste auf Edelmetall geschrieben. Am Ende des Tages zog der US-Verband eine verheerende Bilanz mit einer mickrigen Bronzemedaille durch Emily Infeld im 10.000m-Lauf. Um ein Zitat beispielgebend anzuführen, kommentierte Shannon Rowbury: „Ich hatte es einfach nicht drauf. Ich habe alles gegeben. Ich dachte, es ist mehr drinnen, aber es ging nicht. Einfach nur enttäuschend!“ Einen Monat zuvor hat sie über dieselbe Distanz einen Uralt-Landesrekord gebrochen...

Aus Sicht des US-Laufsports muss diese bittere Enttäuschung dringend analysiert werden und die richtigen Schlüsse daraus gezogen werden, denn eines ist sicher: In der Vorbereitung auf die Titelkämpfe können die US-Amerikaner nicht alles richtig gemacht haben. Und wenn es schon einmal nicht läuft, geht ohnehin gleich alles schief: Alysia Montano stürzte im Vorlauf über 800m, Jennifer Simpson verlor nach einem Kontakt in der Frühphase des 1.500m-Finals einen Schuh und musste zu 50% barfuß weiterlaufen und dann unterlief Molly Huddle im 10.000m-Lauf die Kuriosität dieser Weltmeisterschaften, als sie zu früh jubelte und damit eine sichere Bronzemedaille verschenkte. Für eine weitere lustige Anekdote sorgte der erst 16-jährige Abdullah Al Qwabani aus Jemen, der im 5.000m-Vorlauf barfuß antrat und eine persönliche Bestleistung von 16:02,55 Minuten erzielte.

Positives Fazit für Europäer
Im Laufbereich zählen die Europäer – jetzt einmal Mo Farah ausgeklammert – auf Weltniveau stets zu den krassen Außenseitern. Doch bei den Weltmeisterschaften in Peking setzte sich der europäische Laufsport hervorragend in Szene und erzielte zahlreiche erstaunlich gute Resultate. Herausragend sind natürlich die Medaillengewinne: Neben Mo Farahs erneutem Doppelschlag holte 800m-Läuferin Marina Arzamasova aus Weißrussland eine dritte Goldmedaille für Europa. Auch der Pole Adam Kszczot (Silber über 800m), der Bosnier Amel Tuka (Bronze über 800m), die Niederländerin Sifan Hassan (Bronze über 1.500m) und die Deutsche Gesa Felicitas Krause (Bronze über 3.000m Hindernis) durften eine Siegerehrung im vollbesetzten „Vogelnest“ genießen.

IAAF Leichtathletik-Weltmeisterschaften 2015 in Peking
Text: SIP / TK
Foto: Getty Images for IAAF