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Die Botschaft des 800m-Finals leutete eindeutig: David Rudisha ist wieder zurück auf dem Thron. Und die Erleichterung war dem großen Kenianer redlich anzumerken.
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Taktische Meisterleistung führt David Rudisha zu zweitem Gold
Viele hätten ihm diese Leistung nicht zugetraut: Nachdem David Rudisha im Halbfinale bereits Nijel Amos den Nerv gezogen hat, macht der wieder topfitte Olympiasieger im Finallauf alles richtig und präsentiert der Konkurrenz in seiner unnachahmlichen Weise 800 Meter lang die Rückenansicht. Die Überraschung des Tages ist der amtierende Europameister, auch Senkrechtstarter Amel Tuka steht auf dem Podest.
Der König ist tot – es lebe der König! Nicht wenige hatten David Rudisha bereits abgeschrieben und bei der Beantwortung der Nachfolgefrage des Kenianers zwischen dem hochtalentierten Nijel Amos und dem wundersamen Senkrechtstarter Amel Tuka abgewägt. Doch der Olympiasieger von London und Weltmeister von Daegu gab in den Tagen von Peking seine Antwort auf der Bahn. Und diese Antwort war von purer Überzeugung durchtränkt, denn auch im Finale machte der 25-Jährige, der als sechstes von sieben Kindern als Zehnkämpfer die ersten Schritte in der Leichtathletik gesetzt hatte, alles, aber auch gar alles richtig. „Ich freue mich sehr über diese Goldmedaille, das bedeutet mir sehr viel. Speziell nach den vielen Enttäuschungen in diesem Jahr“, war Rudisha nach dem Erfolg sehr erleichtert.

Gewinnbringende Strategie
Unwiderstehlich trat er vom Start weg an, beschleunigte, legte den fünften Gang ein, machte die Konkurrenz mit diesem höchsten Tempo müde und hatte diese bereits geschlagen, als er alleine an der Spitze die Zielgerade hinunter lief. Das war der alte Rudisha, der vom Schlag des dreifachen Weltrekordläufers. Ein paar Jahre und eine hartnäckige Verletzung später bekamen die Lauffans in Peking den neuen Rudisha zu Gesicht. Ein Rudisha, der sich für taktische Manöver im Rennen interessierte und sich den Gegnern in der Analyse annahm, um das Beste aus seinen Möglichkeiten zu machen. Im Halbfinale gelang der erste Sieg seit drei Jahren gegen Nijel Amos. Doch ein Paradebeispiel stellte das Finale dar. Viele hatten erwartet, Rudisha würde wie früher ein hohes Tempo gehen, um den endschnellen Amel Tuka bereits früh den Wind aus den Segeln zu nehmen. Prompt setzten sich die beiden kräftigen Kenianer David Rudisha und Ferguson Rotich an die Spitze. Doch der Hintergedanke war ein anderer: nicht schnell, sonder gemütlich: 54:15 Minuten zeigte die Zeitmessung beim Ertönen der Glocke an, als die rennentscheidende Phase begann.

Tuka ausgebremst
Nicht unerwartet überquerte Amel Tuka als Letzter des Feldes zum ersten Mal die Ziellinie. Mit dieser Taktik düpierte er in Monaco bei seiner Weltjahresbestleistung die versammelte Weltklasse. Auch nach 500 Metern bildete der Bosnier noch das Schlusslicht, als er wie gewohnt seine Überholmanöver auf der Gegengerade startete. Just in diesem Moment änderte Rudisha an der Spitze die Schlagzahl und legte einen Zwischensprint ein. Das Feld zog sich lange auseinander und Rudisha erreichte, dass Tuka bis zum Eingang der letzten Kurve nicht allzu viele Konkurrenten schnappen konnte. In der Kurve konnte der Bosnier außen nicht viel ausrichten. Und bevor dieser zur zweiten Welle an Überholmanövern ansetzen konnte, beschleunigte Rudisha 120 Meter vor dem Ziel ein weiteres Mal und flog die Zielgerade hinunter Richtung Eldorado. Sein Sieg in einer Zeit von 1:54,84 Minuten war schlussendlich zu keinem Zeitpunkt in diesem meisterhaften Rennen gefährdet – Chapeau!

Applaus für Europameister
Bei all den Lobeshymnen auf Sieger David Rudisha, vor einem weiteren Läufer musste man an diesem Abend im sehr gut gefüllten Olympiastadion von Peking den Hut mehrfach ziehen. Mit einer vorzüglichen Leistung sicherte sich der amtierende Europameister Adam Kszczot mit Rang zwei den größten Erfolg seiner Karriere auf allerhöchster Ebene. Auch bei den Hallen-Weltmeisterschaften in seiner Heimat Sopot war er 2014 Zweiter geworden, damals war die Konkurrenz aber nicht annähernd so stark wie in Peking. Diese doch überraschende Silbermedaille war das Produkt eines taktisch hervorragenden Laufs. Der 25-Jährige hatte sich von Beginn an im Windschatten der führenden Kenianer versteckt und verteidigte diese hervorragende Platzierung vehement. Nach rund 600 Metern behauptete er sich gegen Rotich und nahm den Schwung auf, den Rudisha in der Kurve entwickelte. Auf der Innenbahn kam Kszczot als Zweiter aus der Kurve und während die anderen aus dem Hintergrund teils wilde Sprints anzogen, hatte der Pole keine Probleme, die aus der intelligenten Laufweise resultierende Platzierung zu verteidigen.

Tuka schreibt Geschichte
Für manchen Träumer von Hollywood-Geschichten mag es eine Enttäuschung sein. Amel Tuka ist also nicht der ganz große Coup gelungen. Für den 24-Jährigen ist diese Bronzemedaille bei seinen ersten Weltmeisterschaften aber als großer Erfolg zu werten. „Ein Traum ist wahr geworden. Ich weiß, dass sie zu Hause jetzt ordentlich feiern“, jubelte er. Der Druck war natürlich groß und irgendwie schien Tuka auch leicht gehemmt. Seine Sprintfähigkeiten kamen nicht so zur Geltung wie gewohnt, seine gewohnt blitzschnelle zweite Runde ebenfalls nicht, was aber maßgeblich daran lag, dass Rudisha ihn kopierte. In fantastischen 51,7 Sekunden hatte der Kenianer die zweiten 400 Meter absolviert und den Weltjahresschnellsten damit mit seinen eigenen Waffen geschlagen. Obwohl Tuka erstmals im laufenden Kalenderjahr ein Rennen verlor, schrieb er Leichtathletik-Geschichte. Nie zuvor hatte die noch verhältnismäßig junge Nation Bosnien und Herzegowina bei Welttitelkämpfen in der olympischen Kernsport eine Medaille geholt. Und es sollte nicht vergessen werden, auf welchem Standard der in Verona trainierende Bosnier vor wenigen Monten noch agierte...

Rotich knapp geschlagen
Für Bronze musste Tuka aber im Schlusssprint hart kämpfen, um Ferguson Rotich um 0,05 Sekunden auf den unglücklichen vierten Platz zu verweisen. Der kenianische Meister ist sein Jugendjahren begeisterter Fan von Manchester United und hat sich kurzerhand in Erinnerung an den legendären ManU-Coach Sir Alex Ferguson umgetauft. Um ähnlich Erfolge wie sein Namensgeber zu feiern, muss der zweifache WM-Teilnehmer und Staffel-Weltmeister 2015 (4x800m) nun bis zum nächsten Großereignis warten. Der Franzose Pierre Ambroise Bosse versuchte sich im Finale gut in Szene zu setzen und erzielte einen respektablen fünften Rang von Musaeb Abdalrahman Balla, Nader Belhanbel und Junioren-Weltmeister Alfred Kipketer.

Die WM der Kenianer
Dem geschätzten Marathon-Fan ist die spektakuläre Pleite der Kenianer im Herren-Marathon noch präsent, das kenianische Team hat in Peking diese Scharte längst ausgewetzt. Nach den Triumphen von Vivian Cheruiyot und Ezekiel Kemboi legte am vierten Wettkampftag nicht nur David Rudisha nach, denn die Kenianer beherrschen seit neuestem nicht nur laufen. Nicholas Bett holte Gold im 400m-Hürdenlauf, sodass Kenia kurz vor Halbzeit der Weltmeisterschaften in Peking mit vier Goldmedaillen, drei Silbermedaillen und zwei Bronzemedaillen im Medaillenspiegel mit beträchtlichem Vorsprung von der Spitze lacht. Vor allem wenn man bedenkt, welche Möglichkeiten in diversen Laufentscheidungen noch bevorstehen, könnten die Titelkämpfe im fernen Osten jene der Kenianer werden.


800m-Lauf der Herren, Endergebnis

Gold: David Rudisha (Kenia) 1:45,84 Minuten
Silber: Adam Kszczot (Polen) 1:46,08 Minuten
Bronze: Amel Tuka (Bosnien und Herzegowina) 1:46,30 Minuten

4. Ferguson Rotich (Kenia) 1:46,35 Minuten
5. Pierre Ambroise Bosse (Frankreich) 1:46,63 Minuten
6. Musaeb Abdulrahman Balla (Katar) 1:47,01 Minuten
7. Nader Belhanbel (Marokko) 1:47,09 Minuten
8. Alfred Kipketer (Kenia) 1:47,66 Minuten

IAAF Leichtathletik-Weltmeisterschaften 2015 in Peking
Text: SIP / TK
Foto: Getty Images for IAAF