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Caster Semenya feiert ihren WM-Titel 2009 im Berliner Olympiastadion. Sind derartige Bilder bald wieder Realität?
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Neustart für Caster Semenya bei der WM nach CAS-Gerichtsurteil
Rechtzeitig vor den Weltmeisterschaften 2015 hat ein Beschluss des internationalen Sportgerichtshofs CAS die Chancen Caster Semenyas deutlich erhöht. Vor den Vorläufen über ihre Paradedisziplin darf nun gespannt sein, in welcher Verfassung sich die Südafrikanerin in Peking präsentiert. Nur wenige Minuten davor geht Mo Farah das Projekt „WM-Double“ an.
Der 27. Juli 2015 wird in die Geschichte des Laufsports eingehen. Spätestens dann, wenn die Folgen eines spektakulären Richterspruchs ersichtlich werden. Der oberste internationale Sportgerichtshof CAS hatte an diesem Tag die vom Leichtathletik-Verband 2011 eingeführte Hormon-Regel für nichtig erklärt und damit aufgehoben. Somit gelang der indischen Sprinter Dutee Chand ein großer und viel beachteter, aber auch kritisch beäugter Erfolg auf dem Rechtsweg, von dem nun auch Caster Semenya profitieren kann.

Weltmeisterin von Berlin
Die Geschichte der Südafrikanerin bot der Leichtathletik-Welt eine Herausforderung, der die Herren der IAAF nicht Herr wurden und im Rahmen eines wahren Komödiantenstadels mit der Einführung einer Regel, die den Spiegel männlicher Hormone reguliert, vermeintlich lösten. Caster Semenya ließ in jungen Jahren aufhorchen, als sie die 800m-Welt dominierte, in Berlin 2009 in einer seltenen Dominanz zum WM-Titel lief, zwei Jahre später in Daegu und 2012 bei den Olympischen Spielen in London jeweils die Silbermedaille gewann. Die Diskussionen waren beim WM-Finale im Berliner Olympiastadion längst im Gange und medizinische Nachforschungen bewiesen den starken Verdacht, der sich aufgrund des optischen Erscheinungsbildes Semenyas, maskuliner Körperbau und tiefe Stimme, ergeben hatte. Die Südafrikanerin hat genetisch bedingt deutlich mehr männliche Hormone im Körper als eine gewöhnliche Frau, der Experte spricht von Hermaphroditismus, der Laie von Zwittertum.

Hormon-Therapie als Auflage
Um weiterhin für Frauen-Wettkämpfe startberechtigt zu sein, musste sich Caster Semenya nach den Regeln, die die IAAF auf dem Fundament von Einschätzungen von Experten konstruiert hatte, einer konstanten Hormontherapie unterziehen, um unterhalb des zulässigen Höchstwertes zu bleiben – ein Eingriff in die Physis. Sozusagen Anti-Doping. Seither konnte Semenya nie an die Leistungen früherer Jahre anknüpfen. Doch nun erklärte der CAS die IAAF-Regel für ungültig und nur wenige Tage später meldete sich die Südafrikanerin zurück: WM-Limit unterboten beim Meeting in Linz. Vor zwei Jahren hatte sie es noch verpasst.

Zweite Karriere nach Hormon-Therapie?
Nun also darf Semenya wieder ohne Einschränkungen laufen und auf einen Re-Start ihrer Karriere hoffen. Sofern sie sich keiner Hormon-Operation unterzogen hätte, was nicht bekannt ist, sollte es laut Experten keine größeren Schwierigkeiten darstellen, das alte Leistungsniveau wieder zu erlangen. Frustrierte Fachleute monierten öffentlich, man könne die Olympia-Goldmedaille von Rio de Janeiro 2016 bereits für Semenya reservieren. Doch was bedeuten diese Entwicklungen für die Weltmeisterschaften in Peking? Die Regeländerung ist noch frisch, deswegen dürfte ein eklatanter Leistungssprung zu den bisherigen Saisonleistungen, mit deren bester Semenya auf Rang 48 der Jahresweltrangliste liegt, nicht unbedingt zu erwarten sein. Doch Vorsicht bei den Prognosen ist auf alle Fälle geboten.

Interessanter Vorlauf mit Semenya
Semenya tritt gleich im ersten von sechs Vorläufen über 800 Meter an und diese Auslosung ist bedeutend für die europäische Leichtathletik. Denn im selben Lauf sind mit Europameisterin Marina Arzamasova, ihrer Stellvertreterin Lynsey Sharp, der jungen Deutschen Christina Hering und der zwischenzeitlich wegen Dopings gesperrten, ehemaligen Hallen-Europameister Natalia Lupu auch vier aussichtsreiche europäische Läuferinnen, dazu mit der WM-Debütantin Molly Ludlow eine der Medaillenkandidatinnen.

US-Girls im Angriffsmodus

Die große Abwesende in Peking ist die hochtalentierte Ajee Wilson aus den USA, die die Weltmeisterschaften aufgrund einer Verletzung sausen lassen muss. Doch weil gleich fünf US-amerikanische Läuferinnen in der Jahresweltrangliste auf den ersten elf Rängen liegen, sind die Medaillenchancen für die US-amerikanische Leichtathletik intakt. Neben Ludlow sind die überraschende US-Meisterin Alysia Montano und Brenda Martinez am Ablauf. Als erklärte Topfavoritin geht die kenianische Titelverteidigerin Eunice Sum ins Rennen. Sie trifft im zweiten Vorlauf unter anderem auf die starke Französin Renelle Lamote und Sifan Hassan, die frisch gebackene Bronzemedaillengewinnerin über 1.500m. Die schnellsten Drei jedes Vorlaufs plus sechs weitere Läuferinnen über die Zeitregel schaffen den Sprung ins Halbfinale am darauffolgenden Tag.

Mitteleuropäische Hoffnungen
Zum Höhepunkt einer hinter der Jahresweltbesten Eunice Sum wahnsinnig ausgeglichenen und durch viele überraschende Spitzenleistungen gezeichneten Saison gibt es berechtigte Medaillenchancen, die in deutscher Sprache formuliert werden. Selina Büchel ist die viertschnellste Läuferin des Jahres, Fabienne Kohlmann, Bronzemedaillengewinnerin bei der Universiade, die fünftschnellste. Die Deutsche trifft im fünften Vorlauf unter anderem auf Montano und EM-Medaillengewinnerin Joanna Jozwick, hat aber nach dieser günstigen Auslosung beste Chancen eine Runde weiter zu kommen. Auch die beiden Erstplatzierten bei der Universiade, Angie Petty aus Neuseeland und Simoya Campbell aus Jamaika sind am Start, wurden in andere Vorläufe gelost. Die Herausforderung für die Schweizerin im letzten Vorlauf ist ebenso eine überschaubare. Neben dem isländischen Talent Anita Hinriksdottir, die bei den U23-Europameisterschaften in Tallinn eine wahre Enttäuschung erlebte, sind die starke Kanadierin Melissa Bishop und die erfahrene Britin Jennifer Meadows wohl Büchels stärkste Gegnerinnen.

Weitere Medaillenkandidatinnen sind die Kubanerin Rose Mary Almanza aus Kuba und der kenianische Altstar Janeth Jepkosgei, die bereits einen kompletten WM-Medaillensatz im heimischen Trophäenschrank hängen hat. Entgegen kolpotierter Berichte fehlt die Russin Anastasia Bazdyreva, die durch die TV-Dokumentation „Geheimsache Doping – Wie Russland seine Sieger macht“, welche Ende des letzten Jahres im deutschen Fernsehen ARD ausgestrahlt wurde, praktisch des Dopings überführt worden ist, gegen die aber bisher keine öffentlich bekannte Sanktionen ausgesprochen wurden, weshalb sie es ins russische WM-Aufgebot geschafft hatte.


Farah spannt zweiten Pfeil in den Bogen
Vier Tage nach seinem harten, aber deshalb sehr umjubelten Triumph über 10.000m startet Mo Farah mit seinem Projekt zweite Goldmedaille und strebt über 5.000m den dritten WM-Titel in Folge bzw. den siebten großen Titel binnen fünf Jahren (Olympische Spiele, Weltmeisterschaften und Europameisterschaften addiert) alleine in dieser Disziplin an. Farah trifft im zweiten von zwei Vorläufen, aus denen die fünf Schnellsten plus fünf weitere Läufer über die Zeitregel sich für das Finale am kommenden Sonntag qualifizieren, gleich auf seine wohl stärksten Widersacher, Yomif Kejelcha aus Äthiopien und Caleb Ndiku aus Kenia. Damit birgt dieser Vorlauf eine besondere Spannung und einen ersten, interessanten Schlagabtausch der Favoriten. Denn mit dem Türken Ali Kaya, Albert Rop aus Bahrain, dem Kenianer Isiah Koech, dem US-Amerikaner Galen Rupp und Vize-Europameister Hayle Ibrahimov stecken weitere starke Läufer in diesem Vorlauf. In diesem verdammt harten Umfeld kämpft der Deutsche Richard Ringer um eine gute Platzierung, angesichts dieser namhaften Gegnerschaft wird eine Finalqualifikation noch schwieriger als ursprünglich gedacht.

Keiner hat behauptet, das Leben sei gerecht. Und manchmal ist es auch im Sport so, denn der erste Vorlauf ist deutlich leichter als der zweite. Die bekanntesten Namen sind Imane Merga und Hagos Gebrhiwet aus Äthiopien, Edwin Soi aus Kenia, der US-Amerikaner Ben True, der heuer in New York ein Diamond League Rennen gewinnen konnte, und der Kenianer Cam Levins.

IAAF Leichtathletik-Weltmeisterschaften 2015 in Peking
Text: SIP / TK
Foto: Getty Images