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Abschied mit großem Applaus: Ein letztes Mal hat sich die britische Lauflegende Paula Radcliffe auf die Marathonstrecke begeben und feierte in London einen glanzvollen Abschied von ihrer sportlichen Laufbahn.
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Äthiopien greift im Frühjahr Kenias Vormachtstellung an
Im Rückblick auf den Marathon-Frühling 2015 fällt eine Fokussierung ganz besonders auf: Nie zuvor hat eine einzige Veranstaltung so viel Weltklasse angezogen wie in diesem Frühjahr der London Marathon. Der bedeutendste Marathon Europas, welcher sich heuer qualitativ vor Olympischen Marathons und WM-Entscheidungen nicht verstecken musste, hielt sein Versprechen und begeisterte mit spannenden Rennen. Der London Marathon der Herren bot eine Ausnahme, denn bei vielen großen Veranstaltungen fochten die Äthiopier Kenias Vormachtstellung im Marathon an – sowohl bei den Herren als auch bei den Damen.
Eine Tatsache sticht sofort ins Auge. Zwar liegen auf den ersten fünf Plätzen der Weltjahresbestenliste der Herren vier Kenianer, doch die Nummer eins im internationalen Marathonsport verbuchte lediglich Siege bei zwei der sieben wichtigsten Marathons des Frühlings. Mark Korir in Paris und Eliud Kipchoge in London. Bei den best besetzten 42,195 Kilometern des Frühjahrs lagen die Kenianer allerdings geschlossen an der Spitze. Im als „Clash of Champions“ ausgeschriebenen Rennen quer durch die britische Hauptstadt trafen erstmals der amtierende Weltrekordhalter Dennis Kimetto und sein Vorgänger Wilson Kipsang im direkten Duell aufeinander. Am Ende jubelte der lachende Dritte: Eliud Kipchoge, der in seiner Karriere erst einmal einen Marathon nicht gewinnen konnte – und das war damals in Berlin, als Kipsang Weltrekord lief – entpuppte sich im Finale als der Stärkste und setzte sich im Zweikampf mit Kipsang klar durch: Weltjahresbestleistung von 2:04:42 Stunden und ein zweitplatzierter Star, der dem Sieger nach dem Rennen reichlich Respekt zollte. Der stille aufstrebende Marathon-Star aus Kenia wird seit langem als der zukünftige Weltrekordläufer angepriesen. Immer deutlicher wird klar, dass diese Ankündigungen realisierbar sein könnten.

Kimetto abseits des Scheinwerferlichts
Es ist paradox, doch der Blick in die Statistik will es so: Der London Marathon war Dennis Kimettos schlechtester – zumindest von all denen, die er beendet hatte. Ohne Chance auf den Sieg erreichte er das Ziel in einer Zeit von 2:05:50 Stunden. Keine Frage, immer noch eine Weltklassezeit und in einem derartig hochkarätig besetzten Feld ein starkes Resultat. Trotzdem fühlten in London alle, dass Kimetto eine Art Machtkampf gegen Kipchoge, aber allen voran Kipsang verloren hatte. Die psychischen Auswirkungen dieses Ergebnisses für die nahe Zukunft ist noch nicht absehbar.

Dopingverdacht in Kenia
Wer über den Marathon-Frühling 2015 reflektiert, dem sollten nicht nur die fantastischen sportlichen Leistungen der Kenianer in Erinnerung bleiben. Und vielleicht führen die Untersuchungen der kenianischen Anti-Doping-Jäger zu handfesten Ergebnissen, die diese Leistungen in den Hintergrund drängen. Die sechsmonatige Suspendierung zwei der einflussreichsten europäischen Agenten in Kenia, Federico Rosa, Gerard van de Veen und deren Agenturen ist zumindest ein Signal, dass sich in der ostafrikanischen Laufhochburg in Sachen Kampf gegen Doping etwas bewegt. Zahlreiche kenianische Laufstars, darunter die besten Marathonläufer, waren diesen Frühjahr also ohne Agenten unterwegs und damit auf eigene Füße gestellt. Auch wenn die Athleten angeführt von Wilson Kipsang zum verbalen Gegenschlag ausgeholt haben, ein fader Beigeschmack bleibt.

Für Diskussionen anderer Art, aber innerhalb desselben Themengebiets, sorgte der Kenianer Wilson Loyanae. Nur wenige Tage, nachdem seine Dopingsperre abgelaufen war, nahm der in Südkorea lebende 26-Jährige am Seoul Marathon teil und siegte in einer beeindruckenden Zeit von 2:06:11 Stunden. Für Aufregung sorgte eine Ankündigung des südkoreanischen Verbandes auf eine – bis heute noch nicht erfolgreiche – Anfrage auf Einbürgerung Loyanaes, der für Südkorea an den kommenden Olympischen Spielen in Rio de Janeiro teilnehmen soll. Ein internationaler Aufschrei der Empörung folgte.

Erfolgreiche Äthiopier
Mit fünf großen Siegen kann der äthiopische Leichtathletikverband mit den Leistungen seiner Marathonläufer absolut zufrieden sein: Erst triumphierte Berhanu Lemi in einer tollen Zeit von 2:05:28 Stunden bei den traditionellen äthiopischen Festspielen im Rahmen des Dubai Marathon, dann legten Endeshaw Negesse in Tokio, Abera Kuma in Rotterdam, Sisay Lemma beim Vienna City Marathon und Lelisa Desisa beim Boston Marahton nach. Die Äthiopier waren auch die erfolgreichen Doppelstarter des bisherigen Jahres: Boston-Sieger Lelisa Desisa wurde Zweiter in Dubai, Dubai-Sieger Berhanu Lemi gewann drei Monate später in Warschau, Wien-Sieger Sisay Lemma wurde Fünfter in Dubai und Tilahun Regassa war nicht nur bester Äthiopier in London (als 5.), sondern auch in Xiamen als Zweiter.

Startschuss mit Knalleffekt bei den Damen

Die Marathon-Saison 2015 begann für die Frauen mit zwei Knalleffekten. Bereits am 3. Januar lief die Äthiopierin Mare Dibaba beim Xiamen Marathon in einer Zeit von 2:19:52 Stunden die schnellste Zeit seit knapp drei Jahren (wenn man die Siegerzeit von Rita Jeptoo auf dem nicht regelkonformen Kurs des Boston Marathon 2013 außer Acht lässt). Diese Marke der 25-Jährigen wurde in den folgenden Monaten nicht verbessert, wenn auch beim Dubai Marathon drei Wochen später nur knapp verpasst. Der Marathon im steinreichen Emirat am Persischen Golf war der spannendste und hochkarätigste des Jahres: Bei ihrem Comeback nach einer Babypause siegte die Äthiopierin Aselefech Mergia in einer Zeit von 2:20:02 Stunden und spuckte damit der Kenianerin Gladys Cherono in die Suppe: Die 32-Jährige verpasste bei ihrem Marathon-Debüt die absolute Sensation nur um die Winzigkeit einer Sekunde – für Marathon-Verhältnisse ein Augenblick, versetzte aber auch so die Beobachter ins Staunen. Sechs der sieben schnellsten Zeiten des Frühjahrs wurden in Dubai gelaufen, eine Zeit von 2:23:43 Stunden (aktuell Nummer 23 der Jahresliste), reichte gerade einmal für einen Top-Ten Platz.

Sensation in London
Neben dem Dubai Marathon bleibt vor allen Dingen eine Veranstaltung in Erinnerung: der London Marathon. Gespickt mit Superstars entwickelte sich zwar kein schnelles, aber ein hochspannendes Rennen, welches mit einer großen Überraschung endete. Die Äthiopierin Tigist Tufa, davor nicht unbedingt mit guten Ergebnissen, sondern stets wegen hyperoffensiven Strategien aufgefallen, setzte sich gegen die Kenianerin Mary Keitany durch und realisierte für den Zieleinlauf eine Reihenfolge, die keiner erwarten konnte. Im geschlagenen Feld verpassten unter anderem die zweifache Weltmeisterin Edna Kiplagat sowie Florence Kiplagat, die im Februar in Barcelona erneut einen Weltrekord im Halbmarathon aufgestellt hatte (1:05:09 Stunden), das Podest.

Schneller als die Siegerzeit in London waren nicht nur jene in Xiamen und in Dubai, sondern auch jene in Nagoya durch die für den Bahrain laufende Kenianerin Eunice Kirwa, in Osaka durch die Ukrainerin Tetiana Shmyrko-Gamera und in Tokio durch Berhane Dibaba aus Äthiopien. Den Paris Marathon gewann überraschend die Äthiopierin Meseret Mengistu. Die Veranstaltung in der Stadt der Liebe erzielte als erster Marathon auf dem europäischen Kontinenten mehr als 50.000 Anmeldungen. Auch der älteste City-Marathon der Welt, jener in Boston hatte mit dem Sieg der Kenianerin Caroline Rotich eine Überraschung auf Lager.

Masters-Weltrekord in Mailand
Für eine der beeindruckendsten Leistungen des Frühjahrs sorgte ein bereits in die Jahre gekommener Läufer aus Kenia. Kenneth Mungara stürmte beim Mailand Marathon in einer Zeit von 2:08:44 Stunden als Erster über die Ziellinie und verbesserte im zarten Alter von 41 Jahren und sieben Monaten den Masters-Weltrekord von Andres Espinosa um zwei Sekunden. Sein in Mailand knapp unterlegene Landsmann Cyprian Kotut ist um satte 19 Jahre jünger als der große Sieger.

Abschiede zweier Legenden
Der Marathon-Frühling 2015 steht allerdings nicht nur im Zeichen der sportlichen Leistungen, sondern in besonderem Maße auch im Zeichen zweier großer Abschiede. Beim London Marathon verabschiedete sich Weltrekordhalterin Paula Radcliffe vom Spitzensport und absolvierte die 42,195 Kilometer mit der breiten Masse. Nur wenige Wochen später sagte auch Haile Gebrselassie Adieu. Sein letztes großes Ziel, den Masters-Weltrekord im Marathon, konnte die äthiopische Legende nie erreichen.

Kemboi und Freitag Staatsmeister
Auf dem heimischen Parkett stellte der Vienna City Marathon mit einem neuerlichen Teilnehmerrekord von 42.657 Anmeldungen alles in den Schatten. Sportlich setzten sich der Äthiopier Sisay Lemma und die Schweizerin Maja Neuenschwander bestens in Szene. Neuenschwander, die in einem engen und spannenden Rennen als Solistin an der Spitze kühlen Kopf bewahrte, sorgte damit für den ersten Schweizer Sieg in Wien.

Der Linz Marathon, der sich ebenso über einen beeindruckenden Teilnehmerrekord freuen konnte, endete mit zwei kenianischen Siegen, wobei jener durch Sarah Jebet erwartet wurde und jener durch Anthony Maritiem angesichts der Präsenz des dreifachen Wien-Siegers Henry Sugut und Alfred Kering durchaus eine Überraschung darstellte. In Oberösterreich wurden in diesem Jahr auch die Österreichischen Staatsmeisterschaften im Marathonlauf ausgetragen. Bei den Herren feierte Edwin Kemboi eine erfolgreiche Titelverteidigung vor Robert Gruber und Wolfgang Wallner, bei den Damen setzte sich Karin Freitag in einem spannenden Rennen gegen Cornelia Köpper durch. Beide liefen dabei eine neue persönliche Bestleistung. Für die Tirolerin Freitag war es bereits der vierte Staatsmeistertitel in Folge.

Für die sportlich herausragende Leistung eines österreichischen Läufers sorgte Edwin Kemboi bereits zu Jahresbeginn in Dubai. Mit einer Zeit von 2:14:05 Stunden ist der gebürtige Kenianer einer der wenigen österreichischen Leichtathleten, der sein WM-Ticket für Peking 2015 bereits in der Tasche hat. Für einen Heimsieg sorgte Karl Aumayr beim Salzburg Marathon. Ausgerechnet in seinem letzten Marathonlauf auf leistungssportlichem Niveau feierte er seinen größten Erfolg seiner Karriere und bescherte den Lauffestspielen in der Mozartstadt einen sehr emotionalen Zieleinlauf. Bei den Damen siegte die Äthiopierin Shewaye Gemechu.
Text: SIP / TK
Foto: London Marathon