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Sie ist eine der wenigen namhaften europäischen Athleten, die die Reise ins ferne China zu den Crosslauf-Weltmeisterschaften angetreten hat: die Britin Gemma Steel (hier bei den Crosslauf-Weltmeisterschaften 2013)
NEWS
Crosslauf-Weltmeisterschaften – ein Großereignis im Schatten
Während die ostafrikanischen Läuferhochburgen auf die Crosslauf-Weltmeisterschaften hinfiebern, wandelt das Großereignis in der Aufmerksamkeit der europäischen Leichtathletik am Rand zur Vergessenheit. Hoffnung machen Sebastian Coes Pläne, die Aufnahme des Crosslaufs ins Olympische Programm zu forcieren.
Seit 1982 hat nur viermal ein Nicht-Afrikaner die Goldmedaille bei den Crosslauf-Weltmeisterschaften der Herren geholt, zweimal war dies mit Mohammed Mourhit zudem ein für Belgien startender Marokkaner. Nicht ganz so drastisch, aber trotzdem im beeindruckendem Ausmaß stellt sich auch die Überlegenheit Ostafrikas bei den Damen dar. Die letzten nicht-kenianischen und nicht-äthiopischen WM-Titel in den Teamwertungen gehen auf die Jahre 1980 bei den Herren (England) und 1994 bei den Damen (Portugal) zurück. Angesichts dieser statistischen Daten ist es kein Wunder, dass Crosslauf-Weltmeisterschaften in Ostafrika zu den absoluten Höhepunkten des Laufjahres gehören. In dieser besonderen und spannenden Disziplin der Leichtathletik, in der das Laufen koordinativ weit anspruchsvoller ist als auf der Straße oder Bahn, spielen die Stars aus Afrika ihre läuferische Überlegenheit gegenüber dem Rest der Welt gnadenlos aus.

Europäisches Desinteresse
Dennoch – oder vielleicht genau deswegen: Abseits von Ostafrika beachten nur heißblütige Fans des Laufsports die Crosslauf-Weltmeisterschaften. Einerseits mag dies an der Erfolglosigkeit der westlichen Länder liegen, doch kann dies kaum der einzige Grund sein. 444 Läuferinnen und Läufer aus 51 Ländern treten heuer an, eine für eine als „Weltmeisterschaften“ ausgeschriebene Veranstaltung beinahe lächerlich geringe Anzahl.

Ein genauer Blick auf die Teilnehmerzahlen deckt ein peinliches europäisches Fiasko auf: Pro Bewerb dürfen Verbände maximal sechs Läufer nennen. Macht bei vier Bewerben, 24 Athletinnen und Athleten. Nur sechs Nationen füllten ihr Kontingent gänzlich aus: Neben Kenia und Äthiopien sind das Gastgeber China, Australien, Südafrika und die USA. Also kein europäischer Verband. Großbritannien (Junioren und Juniorinnen) und Spanien (Herren und Damen) füllen wenigstens bei 50% aller Bewerbe das Kontingent aus, dagegen fehlen große und erfolgreiche Leichtathletik-Verbände wie Deutschland und Russland komplett! (ebenso wie Österreich übrigens, Anm. d. Red.).

Zusätzlich glänzen zahlreiche der besseren Crossläufer europäischer Verbände mit Abwesenheit, wie Ex-Europameister Alemayehu Bezabeh aus Spanien oder ein komplettes italienisches Team bei den Herren sowie die Irin Fionnuala Britton und die Niederländerin Sifan Hassan bei den Damen, die es bevorzugen sich auf anstehende Aufgaben im Marathon oder auf der Bahn zu konzentrieren. Dass dadurch europäische Erfolge bei Crosslauf-Weltmeisterschaften auf eine Silbermedaille durch den ukrainischen Serien-Crosslauf-Europameister Sergej Lebid im Jahr 2001 zurückgehen, ist kein Wunder!

Großveranstaltung mit Schwächen
Dennoch: Den mäßigen Erfolg der Weltmeisterschaften in dieser Winter-Teildisziplin des Laufsports allein auf ein offensichtliches europäisches Desinteresse aufzuhängen, wäre nicht fair. Vielmehr gelingt es dem Leichtathletik-Weltverband diese Welttitelkämpfe nicht adäquat zu verkaufen. „Ich habe Crosslauf früher geliebt. Aber die WM hat ihren Glanz verloren. Jedes Jahr werden Weltmeisterschaften an nicht idealen Orten ausgetragen. Wenn keine Aufmerksamkeit und keine Zuschauer vor Ort sind, kommen auch die Athleten nicht“, schimpft der US-Amerikaner Dathan Ritzenhein. Trotz der besten Crosslauf-Saison seit Jahren kehrt er den heurigen Weltmeisterschaften den Rücken: „Dieses Jahr verzichte ich aufgrund des Boston Marathon darauf. Es wäre ein schrecklicher Trip nach China und zurück, so kurze Zeit vor einem Marathon.“ Der ungünstige Termin im März kurz nach der Hallen- und kurz vor der Frühjahrsaison im Straßenlauf ist eine allgemein Beleibte Rechtfertigung.

Fehlende Stars
Seit 2011 ist die IAAF vom Ein-Jahres-Rhythmus auf einen Zwei-Jahres-Rhythmus gewechselt, ohne merklichen Erfolg die Bedeutung zu steigern. Zu allem Überfluss sind in den letzten Jahren die großen Crosslauf-Stars wie Kenenisa Bekele, Tirunesh Dibaba oder Paula Radcliffe im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts ausgeblieben – und damit die Aushängeschilder solcher Veranstaltungen. Die großen Laufstars der Jetzt-Zeit wie Mo Farah, David Rudisha, Sifan Hassan oder Genzebe Dibaba lassen den Crosslauf links liegen. Die IAAF versucht mit ordentlichem Preisgeld von 30.000$ für die Sieger der Einzelbewerbe und 20.000$ für die siegreichen Teams entgegen zu wirken, was insbesondere die afrikanischen Teams beflügelt.

Chinesische Premiere
Die Vergabe der Crosslauf-Weltmeisterschaften nach Guiyang auf ein innerchinesisches Hochplateau kann zudem auch nicht als glücklichste Entscheidung bezeichnet werden. Zuschaueransturm ist in der Stadt mit knapp dreieinhalb Millionen Einwohnern, die inmitten einer Hügellandschaft liegt, mit Sicherheit keiner zu erwarten, auch die chinesische Rolle im Laufsport hat sich in den letzten Jahren in Grenzen gehalten. Die langen Reisen sind zusätzliche Belastungen für die Athleten aus Afrika, Europa und Amerika, die Zeitverschiebung reduziert naturgemäß das Interesse des europäischen und amerikanischen Publikums an Wettkämpfen in den frühen Morgenstunden bzw. späten Abendstunden des Vortags. Andererseits ist verständlich, dass China als bevölkerungsreichstes Land der Welt nach 41 Jahren Crosslauf-Weltmeisterschaften auch einmal an der Reihe sein muss, eine derartige Veranstaltung auszutragen! Erst einmal, nämlich 2006 im japanischen Fukuoka, fanden Crosslauf-Weltmeisterschaften in Ostasien statt.

Herausforderung Guiyang
Einen speziellen Aspekt bringt die heurige Ausgabe der Crosslauf-Weltmeisterschaften zweifellos mit: In vergangenen Jahren des Öfteren bei kalten Temperaturen und schneebedeckten Strecken, erwartet die Athleten in Guiyang ein warm-feuchtes Klima. Die Strecken sind auf einem großzügigen Areal im Qingzhen Trainingscamp angelegt. Die Herren laufen dabei sechs Runden und zwölf Kilometer, die Damen sowie die Junioren vier Runden und acht Kilometer, die Juniorinnen drei Runden und sechs Kilometer. Eine wettertechnische Herausforderung könnten starke Winde darstellen, welche der chinesische Wetterbericht für Samstag prognostiziert.

Crosslauf goes Olympia?
Hoffnungen auf eine nachhaltige Aufpolierung des Images des Crosslaufs hegt die Ankündigung von Sebastian Coe, einer der beiden Bewerber auf die Nachfolge von Lamine Diack als Präsident der IAAF. Er möchte die Aufnahme des Crosslaufs in das Programm der Olympischen Spiele – wohlgemerkt der Winterspiele – forcieren. „Eines der Dinge, die mir wirklich sorgen bereiten, ist, dass ich nicht glaube, dass genug junge Trainer realisieren, wie wichtig Crosslauf ist“, bemängelt der Brite. Dass Coe damit eine alt eingesessene Idee erneut in die Waagschale geworfen hat, dafür hat er bereits lautstarke Zustimmung aus der Leichtathletik erhalten. Würde sie mittel- oder langfristig tatsächlich in die Realität umgesetzt werden, würde dies der Bedeutung des Crosslaufs einen Boost verleihen. Zudem würde das Olympische Programm der Winterspiele, welches auf wenige Sportarten beschränkt ist, eine attraktive Erweiterung erhalten und zahlreichen Ländern, die im Wintersport keine Rolle spielen, wie ostafrikanische Staaten, der Zugang zu Olympischen Winterspielen ermöglicht. Ein starkes Gegenargument ist die Möglichkeit für starke Läufer im Zwei-Jahres-Rhythmus Olympisches Edelmetall abstauben zu können.

Zwischen 1912 und 1924 war der Crosslauf, in deutscher Sprache häufig mit dem unsäglichen Begriff „Querfeldeinlauf“ beschrieben, übrigens Teil des Olympischen Programms und wird heute noch im Rahmen des Modernen Fünfkampfs unter Olympischen Ringen ausgetragen, allerdings nicht mehr für Spezialisten.

Crosslauf-Weltmeisterschaften 2015 in Guiyang
Text: SIP / TK
Foto: Getty Images – Veranstalter Crosslauf-WM 2015