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Stepanova: „Gedopte Athleten lassen sich besser vermarkten“
Mit großer Verzögerung reagiert die Welt Anti Doping Agentur WADA auf die Erkenntnisse durch die TV-Dokumentation „Geheimsache Doping – Wie Russland seine Sieger macht“. Große Hoffnungen versprüht sie dabei nicht. Unterdessen rücken die Coaches von gedopten Sportlern immer stärker in den Fokus der Öffentlichkeit. Zum Thema: zwei interessante Interviews aus der internationalen Medienlandschaft.
Rund zwei Wochen ist es nun her, dass die deutsche Fernsehanstalt ARD Hajo Seppelts Dokumentation „Geheimsache Doping – Wie Russland seine Sieger macht“ ausgestrahlt hat. Über die teilnahmslose und passive Rolle des Leichtathletik-Weltverbands IAAF wurde an dieser Stelle bereits berichtet. Auch die Welt Anti Doping Agentur WADA hat bisher keine Schritte unternommen. In einem ausführlichen Interview mit der deutschen Tageszeitung „FAZ“ wundert sich Yuliya Stepanova, die mit ihren offenen Aussagen und gesammelten Beweisen den Stein ins Rollen gebracht hat, dass bis dato weder die IAAF noch die WADA den Kontakt zu ihr gesucht haben. Laut eigenen Aussagen habe sie noch mehr Beweise, welche in der knapp 60-minütigen keinen Platz gefunden haben. Diese Aussage deckt sich mit jener des Journalisten, der Potenzial für eine weiterführende Dokumentation ortet.

Man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen: Gemeinsam mit ihrem „Whistleblow-Partner“ und Eheman Vitaliy Stepanov ist die 28-jährige Russin ohne Umschweife bereit, die detailliertesten Aussagen über ein nationales System mit flächendeckendem Dopingmissbrauch aller Zeiten zu tätigen und keinen scheint dies zu interessieren! Die Krux an der Geschichte ist für die Russin offensichtlich: „Gedopte Athleten laufen schneller und schnellere Zeiten sind besser zu vermarkten.“ Das Kontrollsystem der IAAF sei demnach zum Vergessen.

Unterdessen ist Stepanova mit ihrem Mann Vitaliy Stepanov und dem gemeinsamen Sohn aus Russland geflüchtet und untergetaucht – die Angst vor Vergeltung für diesen „Landesverrat“, wie Stepanova es bezeichnet, ist allgegenwärtig. Zumindest hat WADA-Präsident Craig Reedie umgehend den Schutz der beiden als oberste Priorität ausgerufen.

WADA startet Ermittlungen im neuen Jahr
Die Ruhe anstelle eines ordentlichen Sturms ist erstaunlich. Sebastian Coe, Kandidat für das Präsidentenamt bei der IAAF, spricht vom „schlimmsten Dopingskandal in der Leichtathletik aller Zeiten“. Zahlreiche Experten orten das Potenzial eines größeren und bedeutenderen Dopingskandal für die Sportgeschichte als jener um den siebenfachen Tour de France Sieger Lance Armstrong im Radsport, der in der Zwischenzeit recht gut dokumentiert ist. Immerhin hat, mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung, die WADA nun auf die Enthüllungen reagiert. Im Januar startet eine investigative Untersuchung der Anschuldigungen, die über das Dopingsystem im russischen Sport ans Licht gekommen sind. Das dreiköpfige Team wird übrigens vom ehemaligen WADA-Präsidenten Richard Pound angeführt. Große Hoffnungen hegt Stepanova übrigens nicht: „Die WADA ist ein zahnloser Tiger.“

Jon Drummond, der überführte Coach

Trainer, Betreuer und Sportärzte haben immer schon eine gewichtige Rolle bei Doping im Spitzensport gespielt. Namen wie Dr. Michele Ferrari oder Dr. Eufemiano Fuentes sind jedem Sportinteressierten ein Begriff. Das große Problem: Früher gab es keine Gesetze, die diese Leute entsprechend hart bestrafen konnten, andererseits wurde auch die Konsequenz von Seiten der Anklagenden vermisst, oft waren langwierige Gerichtsverhandlungen und gewiefte Verteidigungsstrategien ein Hindernis. Es ist ein offenes Geheimnis, dass etwa Ferrari trotz Berufsverbots aus dem Verborgenen im Spitzensport noch aktiv ist.

Dass Trainer zur Verantwortung gezogen werden, was sich Stepanova im Fall des russischen Dopingskandals sehnlichst wünscht, ist nun einem US-Amerikaner passiert: Jon Drummond, ehemaliger Trainer von Marion Jones, die dreifache Olympiasiegerin von Sydney, die mittlerweile Dopingmissbrauch zugegeben hat. Dem erfahrenen Coach wurde der Dopingfall des Sprinters Tyson Gay zum Verhängnis. Das Besondere an diesem Fall im Sommer 2013 war, dass der US-amerikanische Sprintstar von Beginn an nicht leugnete, sondern sofort zugab, den „falschen“ Leuten vertraut zu haben. Im Zuge der Ermittlungen packte Gay aus und überführte unter anderem seinen ehemaligen Coach, der nun von der USADA für acht Jahre gesperrt wurde.

Renato Canova erzählt den sauberen Sport
Wird ein Sportler neuerdings des Dopings beschuldigt, ist eine Anschuldigung der mindestens Mittwisserschaft, aber häufig Beauftragung durch den entsprechenden Coach ein beinahe logischer Schritt. Dass diese Vorgehensweise der Tatsache entsprechen kann, zeigen nicht nur die Enthüllungen der Dokumentation „Geheimsache Doping – Wie Russland seine Sieger macht“, sondern auch Dopingskandale aus der Vergangenheit. Auch bei der positiven A-Probe von Rita Jeptoo war ihr Trainer Claudio Berardelli sofort im Kreuzfeuer der Kritik, der Italiener wehrt sich vehement. Sein Landsmann und Marathon-Trainerlegende Renato Canova hält von dieser Herangehensweise nichts und legt in einem ausführlichen und sehr interessanten Interview mit Athletics Illustrated (siehe unten) eine gegenteilige Perspektive dar. „Der Anti-Doping-Kampf ist ein großes Business in der heutigen Zeit und jeder versucht, Wasser zur eigenen Mühle zu bringen. Alle übertreiben bei der Wirkung von Blutdoping und bei den Risiken für die Gesundheit. Ich habe eine andere Herangehensweise. Mit hartem Training und viel Talent ist alles möglich“, spricht der nicht unumstrittene Coach, der seit neuestem auch Kenenisa Bekele trainiert. „Wenn ich sage, die Topläufer aus Kenia sind sauber, dann sage ich das, weil ich noch nie gehört habe, dass ein Topläufer aus Kenia nach Doping gefragt hat – nicht nur bei mir im Training, sondern generell in Iten. Ich liebe die Leichtathletik und glaube in die Leichtathletik.“


Im Interview mit der FAZ gibt Yuliya Stepanova Einblick in ihre eigene Dopinggeschichte, nennt die wichtigsten Protagonisten des russischen Dopingsystems und nimmt Stellung zur Rolle des Leichtathletik-Weltverbands IAAF.

Eine umfassende Story von Athletics Illustrated inklusive eines ausführlichen Interviews mit Renato Canova.
Text: SIP / TK
Foto: SIP / photocase – imago