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Bei den Junioren-Weltmeisterschaften in Eugene stellte Margaret Wambui sportlich über 800m alle in den Schatten, auch die zu diesem Zeitpunkt Welt-Jahresschnellste Sahily Diago aus Kuba.
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Intersexuelle Leichtathletinnen auf dem Weg nach oben
Die indische Sprinter Dutee Chand und die kenianische Mittelstreckenläuferin Margaret Wambui haben vieles gemeinsam: Sie sind beide 18 Jahre alt, äußerst erfolgreich und weisen männliche Eigenschaften auf. Die Thematik Intersexualität in der Leichtathletik wird wohl eine neue Dynamik erhalten, obwohl die Eindrücke des Falls Caster Semenya noch nicht verblasst sind.
Nur wenige Jahre nach dem Aufsehen erregenden Fall Caster Semenyas ist das Thema Intersexualität in der Leichtathletik erneut präsent. Die Diskussionen stecken aktuell zwar noch in den Kinderschuhen, doch auf den Weltverband IAAF kommen in nächster Zeit wichtige Entscheidungen zu. Denn zwei junge Athletinnen, die an die Weltklasse der Leichtathletik bereits anklopfen, wird Intersexualität nachgesagt. Während die indische Sprinterin Dutee Chand, zweifache Goldmedaillengewinnerin bei den Asienmeisterschaften für Juniorinnen, die Thematik offensiv angeht, gibt es über die kenianische Junioren-Weltmeisterin Margaret Wambui bisher lediglich Spekulationen. Beide sind auf dem Weg nach oben, doch es ist unklar, wie sie diesen Weg in Zukunft bestreiten werden – oder besser gesagt: bestreiten müssen.

Wettkampfsperre für Inderin
Für Aufsehen erregte eine Entscheidung des indischen Leichtathletikverbandes vor den Commonwealth Games im Sommer in Glasgow. Der 18-jährige Sprinterin Dutee Chand wurde die Teilnahme am Großereignis vorsorglich untersagt, da ihr Testosteron-Level deutlich höher war, als die IAAF dies für Frauen-Wettkämpfe erlaubt. Die amtierende indische Meisterin im 100m-Sprint reagierte empört und ging auf Konfrontationskurs: „Ich werde mich nicht einer Operation oder irgendwelchen Therapien unterziehen. Ich habe bisher immer an Wettkämpfen teilgenommen, so wie ich bin. Man hat mir gesagt, dass der hormonelle Bestand bei mir natürlich ist.“ Die SAI (Sports Authority of India) hat mittlerweile den konservativen Weg eingeschlagen und die Berater des internationalen Sportschiedsgerichts CAS in Lausanne konsultiert. „Unser Sportminister hat uns zugesichert, dass er das Mädchen unterstützen möchte. Wir suchen nun nach der besten Lösung und hoffen, dass sie bald wieder an Wettkämpfen teilnehmen kann“, so SAI-Direktor Jiji Thomson. In Indien behandelt man diesen Fall mit Vorsicht, denn die Ereignisse um Santhi Soundarajam, eine intersexuelle, indische 800m-Läuferin, die 2006 einen Selbstmordversuch unternahm, sind noch präsent.

Das IAAF-Regelwerk
Die IAAF-Regularien, die 2011 als Folge des Falls Caster Semenya in Kraft traten, sehen eine theraeutische Behandlung vor, um den Androgenwert auf ein Niveau zu senken, das jenem von Frauen entspricht  als Voraussetzung für einen Start bei Frauen-Wettkämpfen. Dutee Chand hat in ihrem Vorgehen Unterstützung vom indischen Arzt Payoshini Mitra erhalten, ein erfahrener Mann in der Genderforschung im Sport. „Wir haben es hier mit einem einmaligen Fall seit der Einführung der neuen Regeln zu tun. Ich sehe diese geforderten Maßnahmen als diskriminierend und gesundheitsschädlich für junge Leute wie Dutee. Bevor also die IAAF Tests und medizinische Interventionen ansetzt, müssen wir über die gesundheitlichen Konsequenzen derartiger therapeutischer Maßnahmen für die betroffene Athletin sprechen“, fordert Dr. Mitra. Eine Entscheidung von Seiten der IAAF zum Fall Chand steht noch aus darf aber durchaus mit großem Interesse erwartet werden.

Die neue Caster Semenya?
Als die Leichtathletik-Welt in diesem Sommer bei den Junioren-Weltmeisterschaften in Eugene die überragende 800m-Weltmeisterin Margaret Wambui über die Ziellinie laufen sah, erinnerte Vieles an Caster Semenya – nicht nur die dominante Art und Weise und der Erfolg in derselben Disziplin. Die junge Kenianerin hatte ein täuschend ähnliches Aussehen eines Mannes, sofort kam der Verdacht der Intersexualität auf – eine neue Caster Semenya also? Bisher gibt es rund um die Kenianerin allerdings lediglich Spekulationen, denn Eugene war der erste internationale Auftritt der Nachwuchssportlerin und seither folgte kein weiterer – Wambui verweilt in ihrer Heimat Kenia.

Intersexualität
Als intersexuell werden Menschen bezeichnet, bei denen bei der Geburt das Geschlecht nicht 100% zugesprochen werden kann. Meistens legt ein Arzt in solchen Fällen in Beratung mit den Eltern eines der beiden Geschlechter fest und die Kinder werden zumeist dementsprechend erzogen. Geschlechtsumwandlungen im späteren Leben sind keine seltene Folge. So zum Beispiel auch bei Joanna Harper, die als Mann lebte, sich einer transsexuellen Operation unterzog, und sich nun mit einer interessanten Kolumne auf der Plattform www.letsrun.com zu den Neuigkeiten detailliert äußert. Die US-Amerikanerin arbeitet als medizinische Physikerin in Portland und nahm Jahre lang als Mann an Laufveranstaltungen teil, seit ihrer Operation tut sie Selbiges nun als Frau. Meist haben intersexuelle Menschen, die als Mädchen erzogen werden, zwar ein Y-Chromosom, das nur Männer besitzen, welches allerdings aufgrund Mutationen dem weiblichen Geschlecht zugeschrieben wird. Unterschieden wird zwischen AIS (Androgen Insensitivity Syndrome) und 5-ARD (Five Alpha Reductase Deficiency). Intersexuelle Athletinnen, die an sportlichen Wettkämpfen für Frauen teilnehmen, haben aus gesundheitlichen Gründen durch die Überproduktion von männlichen Sexualhormonen wie Testosteron häufig Wettbewerbsvorteile im Vergleich zu „normalen“ Frauen.

Intersexualität im Sport
Intersexualität in der Leichtathletik hat durchaus eine lange Geschichte, auch wenn die Thematik über Jahrzehnte hinweg nicht wirklich ans Tageslicht kam. Bereits die 100m-Olympiasiegerin von 1932, Stella Walsh, war intersexuell, was allerdings erst nach ihrem Tod 1980 bekannt wurde. Nach diversen Schwindeleien wurden zwischen 1968 und 1990 alle Leichtathletinnen untersucht, ob sie zwei X-Chromosomen besitzen, bevor sie an Leichtathletik-Wettkämpfen teilnehmen durften. War dies nicht der Fall, wurden Athletinnen gesperrt. So auch Maria Jose Martinez Patino in den 80er Jahren, bei der das Y-Chromosom entdeckt wurde. Die Spanierin stürmte vergeblich gegen die Regularien von damals an.

Der Fall Caster Semenya
Als die damals 18-jährige Südafrikanerin Caster Semenya zu den Leichtatheltik-Weltmeisterschaften 2009 nach Berlin reiste, war sie der aufstrebende Star im 800m-Lauf. Pünktlich vor dem Großereignis machten allerdings vermehrt Gerüchte die Runde, Semenya sei intersexuell. Als Basis für diese Annahme wurden die unnatürliche Leistungssteigerung binnen kurzer Zeit, ihr männliches Aussehen und ihre tiefe Stimme herangezogen. Prompt dominierte Semenya in Berlin den Rest der Welt und holte WM-Gold. Der Leichtathletik-Weltverband sah von einem Startverbot ab, da keine Beweise vorlagen und ordnete öffentlich eine Überprüfung des Geschlechts von Semenya an. Diese Entscheidung wurde vom südafrikanischen Verband und von der südafrikanischen Öffentlichkeit mit Empörung aufgenommen. Was dann folgte, war eine langwierige, in der Öffentlichkeit ausgefochtene und teilweise skandalöse Kontroverse, die großteils durch ein ungeschicktes Vorgehen der Offiziellen auf dem Rücken der Athletin ausgetragen wurde. Der IAAF wurde von vielen Seiten vorgeworfen, sie hätte den Skandal um Semenya forciert und zum eigenen Vorteil eskalieren lassen. Denn Schlagzeilen waren garantiert. Als Folge traten 2011 die oben bereits skizzierten, neuen Regularien in Kraft. Obwohl Semenya bei den Weltmeisterschaften 2011 und den Olympischen Spielen 2012 jeweils Silber holte, erreichte sie nach der Unterziehung einer chemischen Therapie nie mehr den Leistungsstandard von 2009 und blickt jüngst auf zwei sehr schwache Sportjahre zurück.

Quelle: Kolumne Joanna Harper (englisch)
Text: SIP / TK
Foto: IAAF – Getty Images